Ursache
Blutzellen werden nach der Geburt hauptsächlich im Knochenmark (medullär)gebildet. Bei einer Anämie können Leber und Milz (extramedullär) als zusätzliche blutbildungsfähige Organe zur Produktion hinzugezogen werden. Die Herstellung eines Erythrozyten ist ein komplexer Prozess und unter anderem von Faktoren wie einem gesunden Knochenmark, ausreichender Nährstoffversorgung sowie funktionsfähigen und ausreichend durchbluteten Nieren (Produktion von Erythropoetin) abhängig.
Die Lebensdauer eines Erythrozyten beträgt ca 70 (Katze) bis 100 (Hund) Tage. Aufgrund von Faktoren wie Verlust, Nährstoffmangel, Giftaufnahme, Infektionen oder einer Autoimmunreaktion kann diese verkürzt sein. Dabei werden die Erythrozyten entweder intravasal (im Gefäßsystem) zerstört oder extravasal (außerhalb des Gefäßsystems) in Leber und Milz von Fresszellen abgebaut.
Folglich können 4 verschiedene Pathomechanismen zu einer Anämie führen:
- Verminderte Bildung: zB aufgrund Knochenmarkserkrankung (Dysplasie, Neoplasie, Infektion), Knochenmarkunterdrückung (Östrogenüberschuss, Chemotherapie) Nährstoffmangel (Eisen, Vitamin B12),
- Verbrauch/Verlust: zB aufgrund äußerlicher (Wunden, Nasenbluten) oder innerlicher (Knochenbruch, Milz-/ Lebereinriss, Gerinnungsstörungen) Blutungen
- Zerstörung: zB aufgrund Infektionen (Babesien, Mykoplasmen), Giftaufnahme (Zwiebel, Knoblauch, Zink, Rattengift)
- Sequestration (in der Milz): Im Rahmen einer Narkose kann es zu einer Speicherung von Erythrozyten in die Milz kommen. Bei Katzen kann die zu einem Abfall des Hämatokrits auf bis zu 25% führen.
Wichtig zu unterscheiden ist vor allem, ob es sich um eine regenerative oder nicht regenerative Anämie handelt. Unter Regeneration versteht man die vermehrte Produktion und Abgabe an neu gebildeten Erythrozyten. Bis eine Regeneration im Blutbild sichtbar wird dauert idR 5-7 Tage. Aus diesem Grund wird bei unbekannter Dauer der Anämie und keinen Anzeichen von Regernation von einer präregernativen (vor Eintritt der im Blutbild sichtbaren Regeneration) oder nicht regenerativen Anämie (tatsächlich ausbleibender Regeneration) gesprochen.
Symptome
Abhängig von der Akuität der Anämie können milde (chronischer Verlauf) bis schwere (akuter Verlauf) Symptome auftreten. Diese können unter anderem folgende sein:
- Apathie, Schwäche, Inappetenz
- schnelle Atmung
- schneller Herzschlag
- Veränderung der Schleimhautfarbe: blass/weiß (bei Verlust der Erythrozyten), gelblich (bei Zerstörung der Erythrozyten)
- äußerlich sichtbare Blutungen
- Fieber (bei Infektion)
- Pica Syndrom (dieses häufiger bei Katzen als Hunden beschriebene Verhalten meint die Aufnahme bzw das Belecken von nicht-essbaren Objektien wie beispielsweise Katzenstreu oder Wänden.
Diagnose
Aufgrund der vielzähligen Ursachen einer Anämie ist deren diagnostische Aufarbeitung oft langwierig und kostenintensiv.
Anamnese: Ein Vorbericht von Trauma, Auslandsaufenthalten, Zecken-/Flohbefall, Medikamentenverabreichung oder Giftaufnahme können wichtige Hinweise auf die zugrundeliegende Ursache geben.
Klinische Untersuchung: Indizien wie der Allgemeinzustand des Tieres sowie dessen Atem-/ Herzfrequenz, Schleimhautfarbe und Pulsqualität können über die Dauer der Anämie Auskunft geben.
Blutuntersuchung
- Blutbild: zeigt das Ausmaß der Anämie, die Regernationsfähigkeit sowie etwaige zugrundeliegende Entzündungsprozesse an
- Blutchemie: gibt Hinweise auf mögliche zugrundeliegende Organerkrankungen (zB Niere, Leber)
- Serumuntersuchung: gibt Hinweise auf Nährstoffmangel, überschießende Hormonproduktion oder Infektionen mit bestimmten Erregern
- Blutausstrich: Anzahl, Größe und Farbe der Erythrozyten können wichtige Hinweise auf Ursache und Regenrationskapazitäten geben (zB helle und kleine Erythrozyten bei Eisenmangel, Erreger in den Erythrozyten, verschieden große Erythrozyten bei Regeneration aufgrund großen/unreifen Vorläuferzellen)
- Coombs Test (direkte Agglutination Test): kann in Kombination mit den Befunden des Blutausstriches Hinweise auf das Vorliegen einer Autoimmunerkrankung geben
- Blutgruppenbestimmung: wie beim Menschen gibt es auch bei Tieren unterschiedliche Blutgruppen, welche vor einer potenziellen Transfusion bestimmt werden sollen
Bildgebende Diagnostik: Mittels Röntgen und Ultraschall können Ursachen wie eine Blutung in Körperhöhlen, Organveränderungen oder Neoplasien ein- bzw ausgeschlossen werden.
Beprobung von Organen: Bei ausbleibender Ursachenfindung mit den bisher genannten Untersuchungsmethoden kann als letzter diagnostischer Schritt noch eine Probennahme der blutbildenden Organe erfolgen. Dabei kann mittels Punktion von Leber und Milz bzw mittels Knochenmarkspunktion eine Aussage über das Vorhandensein von Erkrankungen in bz Störung von diesen Organen getroffen werden.
Therapie
Da Anämie lediglich ein Symptom bzw Folge einer zugrundeliegenden Erkrankung ist, ist es essenziell mittels therapeutischer Maßnahmen die Ursache zu beheben.
Konservative Therapie
Viele der oben genannten Ursachen können mittels Medikamente behandelt werden. Je nach Erkrankung kommen unter anderem Antibiotika, Immunsuppressiva, Chemotherapeutika oder Hormone (zB Darbepoetin) zum Einsatz. Weiters können Nährstoffmängel mittels entsprechender Supplementierung behoben werden.
Unterstützend ist oft eine Bluttransfusion nötig. Dabei wird zunächst die Blutgruppe des Tieres bestimmt, um eine Transfusionsreaktion zu vermeiden. Anschließend wird dem betroffenen Tier entweder eine passende Blutkonserve einer Blutbank oder Frischblut eines passenden Spenders infundiert.
Dialyse
Bei Vergiftungen oder Autoimmunerkrankungen kann in bestimmten Spezialeinrichtungen (zB Wien, München) eine Dialyse (Blutreinigungsverfahren) gemacht werden. Diese Behandlung ist sehr kostenintensiv und es können mehrere Durchgänge nötig sein.
Operation
Eine Operation ist bei einer Anämie selten notwendig. Allerdings kann es v.a. bei Rüden aufgrund eines Hodentumors (Sertolizelltumor), aber auch bei Hündinnen aufgrund eines Eierstocktumors (Granulosazelltumor) zu einer überschießenden Östrogenproduktion kommen. Östrogene können die Bildung der Blutzellen im Knochenmark hemmen. Mit einer Kastration (Entfernung der Keimdrüsen: Hoden bzw Eierstöcke) kann der Tumor entfernt und die Ursache der Anämie behoben werden.
Prognose
Je nach Ursache und des Ansprechens auf therapeutische Maßnahmen kann die Prognose günstig bis infaust sein. Während akute Blutungen oder Infektionen oft gut behandelbar sind, sind chronische Anämien mit zugrunde liegenden systemischen Erkrankungen schwieriger zu behandeln. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend für die Verbesserung der Lebensqualität und das Überleben des Tieres. Das Auftreten von Komplikationen wie Nekrosen/Organschäden aufgrund des Sauerstoffmangels, des Mangels anderer Blutzellen (weiße Blutkörperchen, Blutplättchen) aufgrund von Knochenmarkerkrankungen sowie das ausbleibende Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie/Bluttransfusion können die Prognose verschlechtern.
Quellen
- Stephen J. Ettinger, Edward C. Feldman, Etienne Cote (2017): Textbook of Veterinary Internal Medicine. Elsevier, St. Louis, 8. ed.
- Sigrist, Nadja et al (2022): Notfallmedizin für Hund und Katze. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 2. Aktualisierte Auflage.
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